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FFKB-Programmleiter Markus Mörth im Gespräch mit Roland Teichmann, Geschäftsführer des Österreichischen Filminstitutes (ÖFI), über die Zukunft des Kinos, VOD und die Herausforderungen für die Filmförderung in der Zeit nach der Pandemie.

Roland Teichmann, Credit: ÖFI

Interviewer: Wie wird aus Ihrer Sicht die Pandemie das Kino verändern?

Teichmann: Das ist natürlich die Kardinalsfrage, die sich jetzt alle stelle. Der Großteil und wir auch, ist optimistisch dass sich der Kinomarkt wieder erholen wird, die Frage ist nur: Wann? Denn die Kinos können ja nur eingeschränkt öffnen, eine volle Auslastung ist jetzt noch nicht möglich. Und entscheidend ist das Angebot. Da sind ja hunderte, wenn nicht tausende EU-weit produzierte Filme, die in der Pipeline auf die Verwertung warten. Die werden irgendwann alle ins Kino drängen. Große Produktionen werden zurückgehalten, zum Teil auf nächstes Jahr verschoben. Das ist ein sehr simpler Indikator – wenn die großen Studios ihre Filme ins Kino bringen kann man davon ausgehen, dass der Markt wieder ausreichend offen ist.

Interviewer: Besteht nicht die Gefahr, dass das Kino ausstirbt?

Teichmann: Das Kino als sozialer Ort und als Ort des gemeinschaftlichen Erlebens von Film wird nicht aussterben. Jetzt nicht aus Zweck-Optimismus aus Branchensicht heraus, sondern als Konsument. Man will einfach einen guten Film in Gemeinschaft auf der großen Leinwand sehen und nicht einsam am Tablet.

Interviewer: Sind die großen VOD-Anbieter die Gewinner der Krise?

Teichmann: Der Bedarf an Geschichten ist immer da – das ist ein menschliches Grundbedürfnis und konnte in Zeiten der Lockdowns nur online befriedigt werden. Doch wann ist da die gläserne Wachstumsdecke erreicht? Die machen viel Gutes, aber da ist auch viel Masse dabei. 2019 hatten wir hatten 450 Filme oder mehr in Österreich im Kino, ein riesiges Überangebot. Wenn dann diese Krisensituation dazu führt, dass – zugespitzt formuliert – die Masse im Onlinebereich landet und die Klasse im Kino, dann ist man auch als Kinogeher nicht mehr so überfordert und hat einfach mehr Fokus, mehr Qualität. Dann haben die Filme auch mehr Zeit, sich im Kino zu entwickeln. Und das wiederum wäre auch eine sehr große Chance für den nationalen Film, weil es dadurch wieder mehr Platz im Kino gäbe – den könnte man ja auch mit nationalen Content füllen. Ich sehe da wirklich viele Chancen fürs Kino, für den österreichischen Film und den Filmkinomarkt.

Interviewer: Wie wichtig ist in der jetzigen Situation, dass Film-Festivals stattfinden?

Teichmann: Absolut wichtig. Natürlich ist es auch ein wichtiges Zeichen ans Publikum, dass man am Leben ist. Das ist fast eine Art von Widerstandsakt – aber es ist jetzt nicht nur eine Art von kreativem, künstlerischen Widerstand gegen die Pandemie, sondern einfach auch ein klares und aktives Zeichen an das Publikum: Uns gibt‘s und uns wird’s weiter geben, im Rahmen des Möglichen werden wir ein Angebot präsentieren, um Kunst und Kultur auch im persönlichen Kontakt und im Austausch erfahrbar zu machen. Festivals sind ja Orte der Begegnung, das Live-Erlebnis macht ja gerade das Festival aus. Deswegen ist es auch so schwierig, Festivals ins Netz zu verlegen, den persönlichen Moment des Teilnehmens kann man nicht ersetzen. Deswegen find ich es wichtig, da Flagge zu zeigen: Wir sind da, wir bleiben da, wir arbeiten an Konzepten, an Machbarkeit im Rahmen des Möglichen. Und senden somit natürlich auch ein Signal an das Publikum, dass es da eine Zukunft gibt. Und es gibt eine Zukunft.

Interviewer: A-Festivals spielen oft die zentrale Rolle. Wie sehen sie die Rolle von kleineren Festivals. Spielen die nach der Pandemie überhaupt noch eine Rolle?

Teichmann: Also auch da bin ich wirklich davon überzeugt. Wir sprechen nicht von kleineren Festivals, sondern einfach von Festivals unterschiedlicher Ausrichtung und Schwerpunktsetzung, Möglichkeiten und Rahmenbedingungen. Ein Festival hat ja auch eine Filmvermittlungsfunktion die dazu führt, dass viele Filme von vielen Menschen gesehen werden. Das sind ja keine exklusiven Veranstaltungen, wo nur im kleinen Rahmen was passiert. Die großen Festivals haben die weltweite Aufmerksamkeit, auf die schaut die ganze Welt. Aber auch da ist natürlich ein riesiger Wettbewerb und man kann auch schnell untergehen. Die Kriterienkataloge von A-Festivals sagen nicht unbedingt immer etwas über die Qualität der Filme aus, die da gezeigt werden. Sondern eher über das Erfüllen von Voraussetzungen in einer gewissen Marktrelevanz, weil die großen Filme mit Märkten hinterlegt sind und somit auch das Festival nochmal ein gewisses add-on hat. Aber ich würde Festivals nie Kleinreden – und wenn‘s nur das kleinste Filmfestival mit einem guten Profil irgendwo am Land ist, wo ein paar hundert Leute hinkommen und sich gut unterhalten. Die Größe ist da nur sehr bedingt entscheidend.

Interviewer: Wie ist die Beziehung Festivals und Filmförderung in Zeiten von COVID?

Teichmann: In der Filmförderung des ÖFI, die ja auch ein Referenzförderprinzip hat, geht es ja nicht nur um die selektive Förderung, sondern auch um automatische Förderung aufgrund von Erfolg. Und es gibt zwei Parameter, wie Erfolg definiert wird: Besuchererfolg und Festivalerfolg. Und das muss man jetzt einfach neu bewerten, gerade nach dieser Situation: Was bedeutet Besuchererfolg in Österreich aktuell? Wir können es nicht sagen. Die alte Besuchererfolgsschwelle war bei 40.000 Besuchen, inwieweit ist das noch eine Messgröße, die als Erfolgsdefinition relevant ist? Muss man da nach unten gehen? Muss man differenzieren zwischen Spiel- und Dokumentarfilm? Das sind Fragen, die wir uns jetzt stellen. Und bei den Festivals genauso. Wir haben eine sehr A-Festival-lastige Referenz- Liste. Es ist halt immer schwer, weil bei solchen Entscheidungen viele mitreden. Das Interesse der Branche ist tendenziell möglichst viele Festivals anzuführen, damit man viele Möglichkeiten hat, um damit automatisch Referenzgelder zu bekommen. Seitens der Förderung müssen wir aber schon gewisse Filter einbauen. Eine Referenzförderung ist ja eine Erfolgsförderung, das soll nicht zu niederschwellig sein. Aber es ist schwer, die Messlatte so einzuordnen, wie es dem Markt aktuell entspricht. Und die Diskussion wird man auch bei den Festivals führen.

Interviewer: Wird der digitale Markt in Zukunft bei der Referenzförderung eine Rolle spielen?

Teichmann: Ja, könnte er. Auch darüber wird nachgedacht. Das ist schwer zu quantifizieren. Sowohl was die Festivals betrifft, als auch den Besuchererfolg. Warum den Besuchererfolg auf die Besucher im Inland reduzieren? Warum nicht auch Besucher im Ausland und – um es mal ganz simpel zu formulieren – Klicks oder Downloads von Filmen im Netz miteinbeziehen? Es wird wahnsinnig schwer sein, das zu eruieren. Von Netflix wird man keine Zahlen bekommen. Wir haben zum Beispiel den Film „Was wir wollten“ (A 2020, Regie: Ulrike Kofler, Produktion: AG Produktions GmbH) gefördert, da hat Netflix die Lizenz erworben. Der Film hätte ja auch ein Kino-Release in Österreich gehabt. Corona-bedingt ist er quasi nur im Netz verwertet worden und man hat dadurch keine Erfahrungswerte sammeln können. Aber nur weil das bei einem Film so war, heißt es nicht, dass es bei einem anderen genauso ist. Jeder Film ist anders, jeder Film ist individuell und hat so viele individuelle Parameter, da es einfach keine Erfolgsrezepte gibt. Auch bei amerikanischen Studios, die rein nach kommerziellen Kriterien produzieren, funktionieren von zehn Filmen vielleicht drei, wenn es gut geht vier, und die finanzieren dann jene Filme, die nicht so gut performed haben. Filme sind ja im Grunde lauter Prototypen. Und gerade der europäische Film zeichnet sich durch Unabhängigkeit und Eigenständigkeit aus und die braucht immer wieder eine neue, individuelle Verwertung. Das funktioniert mal besser und mal schlechter. Es gibt die Überlegungen, hier auch das Netz in die Erfolgsinformation einzubeziehen. Es wird schwer sein, das so objektiv zu formulieren, dass es auch in der Administration machbar bleibt.

Interviewer: Beginnen sich die alten Regelungen, die klare Trennung zwischen Kino, Fernsehen etc. aufzulösen? Gäbe es da schon Modelle, die funktionieren könnten?

Teichmann: Vieles hat einfach im Netz mehr Platz und mehr Sinn. Demnach muss man das sehr individuell betrachten, da gibt es keine one fits all solution. Ich glaube, man muss sich jedes Projekt im Ergebnis anschauen und dann überlegen, wo dieser Content den bestmöglichen Platz für die Verwertung finden könnte. Wo wird er von möglichst vielen Menschen gesehen, wo ist das „Fördergeld“, das wirklich ein extrem knappes Gut ist, sinnvoll eingesetzt. Ein neutrales Beispiel: Wenn ein kleiner Dokumentarfilm zu einem großartigen Thema auf Festivals läuft und ein gezieltes Publikum erreicht – macht es dann wirklich Sinn, im konventionellen Kino zu starten? Ein konventioneller Kinostart kostet gleich mal 50.000 bis 60.000 Euro. Mit dem Geld könnte man im Netz Kampagnen fahren, die deutlich mehr Effekt haben könnten und somit auch mehr Downloads, Reflexion und das Erreichen von Publikum erzielen würden. Das muss man sich wirklich im Detail, von Film zu Film anschauen, um dem Wesen der Individualität des Filmschaffens gerecht zu werden.

Interviewer: Wie schwer wäre es, das dann auch konkret in die Filmförderung einzubauen?

Teichmann: Ein softer Ansatz in diese Richtung wäre z. B. zu sagen: Wir ermöglichen die Stoff- und die Projektentwicklung auch für Projekte oder für Stoffe, die dann vielleicht exklusiv im VOD-Bereich landen. Um Produktionsfirmen und Kreativen zu ermöglichen, dort bessere packages anzubieten. Was die Herstellungsförderung betrifft bin ich selber noch unsicher. Auch die Schutzfristen sind Thema. Wenn Netflix auch einsteigt, eine gute Lizenz zahlt und somit die Möglichkeit eröffnet, dass der Film auf einen Schlag von 100.000 Personen mehr gesehen wird, dann werden wir nicht sagen „Nein, das geht jetzt aber nicht“, weil der Film vorher 12 Monate im Kino und dann so und so verwertet werden muss. Das hat wirklich mit der Zukunft überhaupt nichts mehr zu tun. In solchen Fällen muss man sagen, okay, dann wird’s ein Stoff, der ausschließlich über VOD verwertet wird. Dann haben wir auch das Ziel, Publikum in einer anderen, breiteren Form erreicht. Stoff- und Projektentwicklung sollten dafür geöffnet werden. Das soll dazu beitragen, dass Produktionsfirmen und Kreative wissen: Wir haben auch diese Schiene zur Verfügung, ohne dass wir die Förderung zurückzahlen müssen. Das wäre ein sanfter, smarter Move. Aber das ist jetzt nur meine persönliche Meinung. Diese Entscheidungen liegen ja alle beim Aufsichtsrat des ÖFI, der die Richtlinienkompetenz hat.

Interviewer: Wie sind da die nächsten Schritte angelegt?

Teichmann: Wir haben das bis jetzt erst einmal in der Projektkommission als unser Ziel definiert, dieses normal business as usual im Verwertungsbereich neu zu denken. Der Plan ist, dass es im Juni, Anfang Juli eine Arbeitsgruppe im Aufsichtsrat gibt oder sich idealerweise der Aufsichtsrat gesamt vor einer Klausurtagung zum Thema Verwertungsförderung und Referenz-Filmförderung trifft. Wie reagiert das Filminstitut und der Aufsichtsrat als Richtliniengeber auf die neue Situation? Es ist ja dann noch ein bisschen Zeit, weil Richtlinienänderungen normalerweise ja immer erst mit Jahresbeginn in Kraft treten. Vom Fortschritt der Diskussion wird abhängen, wie schnell sich der Aufsichtsrat auf etwas einigen kann, was mehrheitsfähig ist. Da werden die Meinungen wahrscheinlich auseinander gehen. Mein Wunsch wäre, dass man spätestens mit 01.01.2022 neue klare Regelungen hat, die zukunftsorientierter sind als die bisherigen.

Interviewer: Kann man abschließend sagen, dass der Film „Was wir wollten“ sozusagen ein Modell der Zukunft ist? Der 2. Lockdown hat es dann verhindert, aber geplant war ein begrenzter Kinostart in Österreich im November 2020 mit weltweiter VOD-Auswertung im Anschluss. Ist das für Sie das Modell der Zukunft?

Teichmann: Es könnte ein Modell sein. Nicht für jeden Film, aber für manche Filme. Wenn ein Film eine schöne Österreich-Kinopremiere hat, für eine begrenzte Zeit im Kino läuft und dann quasi exklusiv eine VOD-Verwertung hat, die einfach einen X-Mal größeren Markt aufmacht. Ein wenig zynisch formuliert, ohne es zynisch zu meinen: Es wäre doch schön, wenn uns Netflix jeden Film aus der Hand reißen, jeden geförderten Film nehmen, Millionen zahlen und den in die Welt raus tragen würde. Es wird nicht passieren und es werden immer noch genug Filme übrig bleiben, die dann diese ganz exklusive Kinoauswertung haben und auch gutes Publikum machen werden. Aber der Online-Markt ist einfach X-Mal größer als im konventionellen Kino, weil der Markt bei uns entsprechend klein ist. Selbst wenn bei uns ein Film super erfolgreich ist – 100.000 Besucher ist vielleicht so eine Marke für den österreichischen Film am österreichischen Markt: Man muss richtig gut sein, um diese Marke zu erzielen. Es wird genug fürs Kino übrig bleiben, aber wir müssen schauen, dass wir in diesen beiden Welten, in der Kinowelt und im Online-Angebot, ausreichend sichtbar relevant vertreten sind. Nur dann haben wir eine Legitimation für die Zukunft.

Mitarbeit: Valerie Besl